Ereignishorizont Digitalisierung - Digitale Menschen

Digitale Menschen

Die Leistungsfähigkeit Künstlicher Intelligenz (KI) explodiert. Auch wenn KI-Anwendungen noch überraschende Grenzen haben, ist es kaum verwunderlich, dass gerade auch die Simulierung des Menschen bzw. menschlichen Verhaltens längst im Fokus der Digitalisierung ist. Das was Stanley Kubrick seinem erschreckten Kinopublikum schon vor über 50 (!) Jahren als Vision präsentierte (vgl. nachfolgendes Video) mag zwar heute und auch morgen (immer noch) keine Realität sein. Immer schneller voranschreitende Forschung und kommerzielle Lösungen zeigen aber den Weg zum digitalen Menschen bereits jetzt eindrücklich auf.   

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Video: HAL 9000 – „I’m sorry Dave, I’m afraid I can’t do that“.

Digitale unsterbliche Doppelgänger

Jeden Tag sterben ungefähr 150.000 Menschen. Die zunehmende Digitalisierung führt dazu, dass diese Menschen immer mehr Spuren in der digitalen Welt hinterlassen haben. Spuren, die dann – so die Idee sogenannter Recreation Services – genutzt werden können, um digitale Doppelgänger verstorbener Menschen anzufertigen.

Ein Unternehmen das an dieser Vision arbeitet ist eterni.me. Das Unternehmen will digitale Doppelgänger von Menschen v. a. anhand von verfügbaren Textfragmenten (z. B. aus sozialen Netzwerken oder E-Mails) erzeugen, die sich dann in Chats, E-Mail-Konversationen oder Gesprächen wie das Original verhalten. Noch zu Lebzeiten sollen Auftraggeber den eigenen Doppelgänger trainieren und verbessern können. Visualisiert werden digitale Doppelgänger durch ein fotorealistisches, visuell überzeugendes digitales Abbild des Menschen, einen so genannten Avatar (das Wort Avatar stammt übrigens aus dem Hindi und charakterisiert ein menschenähnliches Erscheinungsbild eines Gottes auf der Erde). Für den noch nicht kommerziell verfügbaren Service haben sich bis heute schon über 45.000 Interessenten auf die Warteliste (vgl. Website) setzen lassen.   

Das Unternehmen eterni.me arbeitet an digitalen Doppelgängern (Screenshot).

Ein ähnliches Angebot bietet das soziale Netzwerk ETER9 aus Portugal. Auch hier wird anhand von digital verfügbaren Artefakten ein digitales Abbild eines Menschen erzeugt. Anhand von fortlaufenden Beobachtungen des digitalen Verhaltens eines Menschen soll dieses kontinuierlich besser und trainiert werden – und soll dann im Falle des eigenen Todes weiterhin mit anderen Mitgliedern des sozialen Netzwerks kommunizieren und interagieren. 

Das soziale Netzwerk ETER9.com (Screenshot).

Schon heute im Einsatz: Chatbots

Obige Beispiele gehören sicher in die Kategorie „verrückte Digitalisierung“. Allerdings gibt es schon heute auch kommerzielle Anwendungen digitaler Menschen, mit denen Millionen Menschen jeden Tag in Berührung kommen. So setzen zehntausende Unternehmen weltweit bereits virtuelle digitale Mitarbeiter (so genannte Chatbots) im Kundenservice ein. Auf Websites. Bei telefonischen Kunden-Hotlines. In der schriftlichen E-Mail-Kommunikation mit Kunden. KI macht es möglich: Fragen zu Produkten oder Dienstleistungen müssen nicht mehr zwangsläufig von Menschen per Telefon oder E-Mail abgewickelt und beantwortet werden. Aber auch ausgefallenere Anwendungsszenarien von Chatbots sind möglich, z. B. der Einsatz bei Kirchenführungen: Für die Hamburger Katharinenkirche erarbeiteten Schülerinnen und Schülern im Chatbot-Projekt „hellokatharinen“ eine entsprechende Anwendung. Welche Möglichkeiten sich auch bei der Visualisierung von Chatbots, digitalen Menschen ergeben, zeigen die beiden nachfolgenden Videos.

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Video: Google-Backed Magic Leap Introduces MICA.

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Welcome to the World of Digital Humans.

Der Begriff Chatbot bedeutet „plaudernder Roboter“. Es gibt zwei Arten von Chatbots: Einfachere regelbasierte Chatbots greifen auf ein datenbankgestütztes Regelwerk zurück, um konkrete Antworten auf konkrete Fragen zu geben. Intelligente Chatbots nutzen dagegen Verfahren der KI um auch komplexere Antworten auf komplexere Fragen zu liefern.

Die Geschichte der Chatbots reicht weit zurück. Den ersten Chatbot, ELIZA, programmierte Joseph Weizenbaum vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) schon 1966 [1]. Schon damals war es die Idee, mit einer Maschine menschliches Verhalten und Verständnis glaubhaft zu simulieren. Die Lösung war allerdings eine sehr einfache: ELIZA versuchte durch einfaches Umformen von Aussagen eines menschlichen Gesprächspartners in Fragen einen Dialog vorzutäuschen. Da ELIZA jedoch keine Antworten speichern oder Rückschlüsse auf bestehende Antworten geben konnte waren die Anwendungsmöglichkeiten sehr beschränkt.

Schon leistungsfähiger war der Chatbot PARRY aus dem Jahr 1972, der das Verhalten von paranoid-schizophrenen Patienten simulierte. Getestet wurde der Chatbot mit Hilfe von erfahrenen Psychiatern. In Tests (konkret: Turing-Tests) konnten selbst erfahrene Psychiater nur schwer sagen, ob sie mit echten Patienten oder mit PARRY kommunizierten. 

[Zur Erinnerung: Der Turing-Test ist nach dem britischen Mathematiker Alan Mathison Turing benannt, einem der einflussreichsten Theoretiker und Pioniere der Computerentwicklung und Informatik. Bei einem Turing-Test führt ein menschlicher Fragesteller über einen Computer eine Unterhaltung mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern. Ohne jeglichen Sicht- und Hörkontakt. Dabei ist einer der beiden Gesprächspartner ein Mensch, der andere eine Maschine. Beide Gesprächspartner, also der Mensch und die Maschine haben die Aufgabe, den Fragesteller, davon zu überzeugen, dass sie ebenfalls denkende Menschen sind. Wenn der Fragesteller nach einer intensiven Befragung nicht klar sagen kann, welcher von beiden die Maschine ist, hat die Maschine den Turing-Test bestanden und der Maschine wird ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen unterstellt.]

Im Jahre 2001 programmierten schließlich russische Wissenschaftler den Chatbot Eugene Goostman, der noch bis heute weiterentwickelt wird. Dieser Chatbot imitierte eine junge männliche Person ukrainischer Herkunft. In 2014 schaffte es der Chatbot innerhalb von fünf Minuten dreißig Richter davon zu überzeugen, dass er ein echter Mensch sei. Das Programm wurde damit das erste, welches für sich reklamiert, den Turing Test erfolgreich bestanden zu haben. Im Nachhinein wurde der Test allerdings stark kritisiert und angefochten.

Nutzerakzeptanz

Für die Nutzerakzeptanz von Chatbots wichtig ist die Frage, wie sich diese verhalten müssen, damit Menschen gerne mit diesen kommunizierenDazu Dr. Stefan Hillmann, der an der Technischen Universität in Berlin an Sprachdialogsystemen und Chatbots forscht im Interview mit dem „handelsjournal“: „Wichtig ist der erste Eindruck. Wenn schon bei den ersten drei Interaktionen – also dem Austausch von Textnachrichten oder gesprochener Sprache – der Eindruck aufkommt, dass die Maschine mich nicht versteht, dann habe ich auch keine Lust mehr, das Angebot weiter zu nutzen. Es kommt aber auch auf den Ton an: Wenn jemand höflich mit dem System redet, soll es auch höflich antworten. […] Wichtig ist schließlich die Konsistenz: Wenn der Nutzer etwas auf eine bestimmte Art sagt, sollte das System immer gleich reagieren. Wird ein Satz ein Mal verstanden und beim nächsten Mal nicht, sind die Nutzer schnell frustriert. Ansonsten ist gerade bei Chatbots auch immer die Frage, ob man überhaupt so tun muss, als säße am anderen Ende ein Mensch. […] Wenn jemandem klar ist, dass er mit einer Maschine kommuniziert, ist er bei Fehlern wahrscheinlich auch eher nachsichtig. Es ist also einfacher, wenn man beim Nutzer nicht zu hohe Erwartungen weckt.

Literatur

[1] J. Weizenbaum: ELIZA – A Computer Program For the Study of Natural Language Communication Between Man And Machine. Computational Linguistics, 1966.

 

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