Ereignishorizont Digitalisierung - Quantencomputer

Quantencomputer: Türöffner für eine neue Welt

Im September 2019 wurde versehentlich der Entwurf eines wissenschaftlichen Papiers von Google-Ingenieuren veröffentlicht, dem zufolge ein von Google konstruierter Quantencomputer in etwa drei Minuten und zwanzig Sekunden eine sehr schwierige Rechenaufgabe gelöst hat, für die der derzeit schnellste Supercomputer der Welt 10.000 Jahre gebraucht hätte. „Der geleakte Entwurf von Googles Artikel stellt […] vermutlich den ersten experimentellen Beleg für die langgehegte theoretische Annahme dar, dass Quantencomputer selbst die mächtigsten modernen Supercomputer in bestimmten Aufgaben schlagen könne„, heißt es in der Fachzeitschrift „IEEE Spectrum“ des internationalen Berufsverbandes von Ingenieuren in der Elektro- und Informationstechnik. Zwar ist die wissenschaftliche Diskussion des in dem Artikel beschriebenen Experiments noch nicht abgeschlossen. Dennoch wird aktuell auch einer deutlich größeren Öffentlichkeit als bisher bewusst, zu welcher Leistung Quantencomputer im Stande sind

Wie funktionieren Quantencomputer?

Ein Quantencomputer ist eine Rechenmaschine, deren Funktion auf den Gesetzen der Quantenmechanik beruht. Was das genau bedeutet verdeutlicht man sich am Besten anhand eines direkten Vergleichs mit herkömmlichen Rechenmaschinen. 

Der kleinste Baustein zur Speicherung und Verarbeitung von Informationen in jedem herkömmlichen Computer ist ein Bit. Jedes Bit hat immer einen von zwei binären Zuständen: 0 oder 1. Durch die Aneinanderreihung von Bits können auch komplexe Informationen digital abgespeichert und verarbeitet werden. 8 Bit erlauben beispielsweise die Abbildung von 256 unterschiedlichen Zuständen (00000000, 00000001, 00000010, …, 01111111, 11111111).

In Quantencomputern gibt es dagegen keine Bits, sondern Qubits. Bei Berechnungen mit Qubits muss deren Zustand nicht zwingend 0 oder 1 sein. Für eine bestimmte Zeitspanne, die sogenannte Kohärenzzeit, kann ein Qubit sich in einem beliebigen Zwischenzustand aus Null und Eins befinden. Dieser Zustand wird auch Superposition genannt. Erst durch eine Messung zu einem konkreten Zeitpunkt geht ein Qubit in einen der beiden klar definierten Zustände 0 oder 1 über, sodass man das Messergebnis in einem „klassischen“ Bit speichern kann. Es ist der Zustand der Superposition, der Quantencomputern ermöglicht, Rechenaufgaben extrem viel schneller zu lösen als herkömmliche Computer. Die Realisierung von Quantencomputern hängt somit entscheidend davon ab, Qubits solange in einem Zwischenzustand zu halten, bis die aktuelle Rechenoperation durchgeführt und zu Ende ist. Dekohärenz, also das Zurückfallen in einen klassischen 0/1-Zustand, muss möglichst lange hinausgezögert werden.

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Video: Wie funktionieren Quantencomputer?

„Quantum Supremacy“ – Über die Überlegenheit von Quantencomputern 

Das geleakte Papier zu dem von Google konstruierten Quantencomputer zeigt: Die Leistungsfähigkeit von Quantencomputer wird in atemberaubendem Tempo besser. Hartmut Neven zufolge, dem Leiter des „Quantum Artificial Intelligence Lab“ bei Google, ist das Wachstum sogar doppelt exponentiell. In Anlehnung an das Moore’sche Gesetz, welches exponentielles Wachstum bei der Leistungsfähigkeit von herkömmlichen Computern beschreibt, spricht man schon von „Neven’s Law“.  

Schon einfaches exponentielles Wachstum ist für Menschen schwierig nachzuvollziehen, wie an anderer Stelle in diesem Blog bereits thematisiert wurde. Bei exponentiellem Wachstum kommt zu einem vorhandenen Bestand (z. B. ein Kontoguthaben) immer der gleiche prozentuale Anteil (z. B. 2% Zinsen pro Jahr) dazu. Auch der technologische Fortschritt kann einer exponentiellen Dynamik unterworfen sein. Exponentieller Fortschritt bedeutet, dass es in immer kürzerer Zeit immer mehr technologischen Fortschritt gibt. Ray Kurzweil hat dazu schon 2001 in seinem Artikel “The Law of Accelerating Returns” die These formuliert, dass der technologische Fortschritt im gesamten 21.Jahrhundert äquivalent zum technologischen Fortschritt der vorangegangenen 20.000 Jahre ist (zur Erinnerung: Es war vor 20.000 Jahren, als in der Altsteinzeit Menschen lernten Steinwerkzeuge herzustellen und als Jäger und Sammler unseren Planeten bevölkerten).

Doppeltes exponentielles Wachstum ist darauf aufbauend nicht wirklich einfach zu erklären. Doppelt exponentiell bedeutet, dass der Exponent des einfachen exponentiellen Wachstums wiederum einen Exponenten hat. Hier griffige Beispiele zu finden ist schwierig. Hartmut Neven hat es so formuliert: „Es sieht aus, als ob gar nichts passiert, und dann – ups -, ist man in einer anderen Welt.“ Wie kommt das? Faktor 1 (und erster exponentieller Treiber bzw. Exponent): Quantencomputer sind herkömmlichen Computern exponentiell überlegen. Faktor 2 (und zweiter exponentieller Treiber bzw. Exponent): Die technischen Fortschritte beim Bau von Quantencomputern. Das Ergebnis: Doppeltes exponentielles Wachstum. 

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Video: Quantum Supremacy – Quantenüberlegenheit erklärt.

Auf dem Weg zur Singularität

Irgendwann kommt es – exponentiellen technologischen Fortschritt vorausgesetzt – zur technologischen Singularität. Dies ist eine Zeitperiode, vereinfacht gesprochen, an dem Maschinen so intelligent werden, dass der weitere technologische Fortschritt nicht mehr vorhersehbar ist. Quantencomputer und mit ihnen erreichbare doppelte exponentielle Entwicklung könnten eine Abkürzung auf dem Weg zur Singularität sein.

Doch selbst wenn die Singularität noch auf sich warten lässt bieten Quantencomputer faszinierende Möglichkeiten, die viele bisherige Anwendungen der herkömmlichen Digitalisierung überflüssig machen. Ausgangspunkt ist dabei immer, dass Quantencomputer es erlauben, Rechenprobleme extrem viel schneller zu lösen als herkömmliche Computer. Ein Beispiel: Für die Primzahlzerlegung einer Zahl mit 300 Stellen würde ein herkömmlicher Supercomputer ungefähr 150.000 Jahre brauchen. Ein Quantencomputer sollte dieselbe Aufgabe in wenigen Tagen ausführen können. Von erheblich größerer praktischer Konsequenz ist die Möglichkeit, mit Quantencomputern bislang als sicher eingestufte Verschlüsselungsverfahren zu knacken. Überall dort, wo Verschlüsselung zum Einsatz kommt, müssen dann neue Verschlüsselungsverfahren entwickelt werden, z. B. bei der Verschlüsselung von Dokumenten, bei der Verschlüsselung von E-Mails, oder beim Einsatz von Kryptowährungen wie Bitcoin (auch Kryptowährungen basieren letztlich auf Verschlüsselungsverfahren).

Auch in der Industrie wird an konkreten Anwendungsmöglichkeiten von Quantencomputer gearbeitet: So erprobt VW derzeit die Materialoptimierung für Batterien von Elektrofahrzeugen. Quantencomputer sollen Molekülflüsse in nie gekannter Detaillierung und Präzision simulieren. BMW nutzt Quantencomputer im Rahmen eines Pilotprojekts, um die Arbeitsschritte von Robotern in der Fertigung zu optimieren. In Karlsruhe entwickelt das Start-up HQS Algorithmen zur Simulation biochemischer Prozesse mit Quantencomputern. Vor allem für die Pharmabranche sind solche Simulationen von großem Wert, da sie sich materialintensive und teure Tests sparen können.  

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Video: Google and NASA’s Quantum Artificial Intelligence Lab.

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