Ereignishorizont Digitalisierung - Tonic Positivity

Toxic Positivity im Influencer Marketing

Die psychosoziale Entwicklung eines Menschen durchläuft nach Erik Erikson im Laufe des Lebens acht Stufen. Im Mittelpunkt jeder Stufe steht jeweils ein Leitthema, mit dem die Person sich intensiv auseinandersetzt und endet in einer Krise, die bewältigt werden muss. Im Jugendalter zwischen zwölf und 20 Jahren entwickelt sich z. B. die eigene Identität, also das Verständnis des eigenen Ichs. Die Entwicklung von Vertrauen, Autonomie, Initiative und Fleiß wurden zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Während Kinder noch Autoritätspersonen wie Eltern oder Lehrer als Bezugspersonen haben, orientieren sich Jugendliche bei der Identitätssuche an Peergroups und Vorbildern. Bei der Identitätsentwicklung stellen sich die zentralen Fragen „Wer bin ich?“, Was sind meine Ziele?“ und „An welche Werte und Überzeugungen glaube ich?“ [vgl. 1, S.31]. Um eine Antwort auf diese Fragen und ihren eigenen Standpunkt in der Gesellschaft zu finden, müssen die Jugendlichen sich in einem „Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen (widersprüchlichen) Lebensmodellen und Wertehaltungen bewegen“ [2]. Am Ende der Phase sollte es der Person möglich sein die eigene Weltanschauung und Meinungen zu begründen und eine gefestigte Einstellung was für sie im Leben zählt und woran sie sich im Leben orientiert. Es kann jedoch auch passieren, dass die Identitätsbildung nicht gelingt. Dies wird als „Rollendiffusion“ bezeichnet. In diesem Fall konnte die Person nicht etablieren, wer sie ist oder sein will und hängt zwischen widersprüchlichen Polen. Dies macht sie leicht manipulierbar und abhängig vom Einfluss anderer [vgl. 2]. Obwohl der Schwerpunkt der Identitätsentwicklung in der Jugend liegt, ist es ein Prozess, der das gesamte Leben lang andauert. Phasen der Orientierungslosigkeit oder Änderungen des eigenen Lebensentwurfs können auch im Erwachsenenalter auftreten und bedeuten nicht, dass die Bildung einer eigenen Identität nicht gelungen ist [vgl. 1].

Selbstkonzept

Identität (siehe oben) und Selbstkonzept sind zwei Begriffe, die etwas ähnliches beschreiben und deren Übergänge fließend sind, die aber doch verschieden sind. Das Selbstkonzept beschreibt, wie man sich selber sieht und wie man gerne wäre. Diese eigene Wahrnehmung kann jedoch, anders als die Identität, von der Realität abweichen. Das Selbstkonzept lässt sich in drei Teile aufteilen [vgl. 3]:

  • Das Real-Selbst: wie man sich im Moment selber sieht und beurteilt, z. B. „ich bin hübsch“.
  • Das Ideal-Selbst: wie man gerne wäre, z. B. „mir ist wichtig, dass ich gut aussehe“.

Wenn Ideal- und Real-Selbst weitgehend übereinstimmen, ist die Person glücklich und ausgeglichen. Weicht die Idealvorstellung von sich selbst jedoch stark vom tatsächlichen Selbstbild ab, führt dies zu starker Unzufriedenheit. Mädchen haben dabei deutlich häufiger negative Stimmungen und größere Selbstunsicherheit als Jungen. Der Grund: Mädchen haben durch die ihnen auferlegten Geschlechterrollen mehr Probleme ein schlüssiges Selbstkonzept zu entwickeln. Die normativen Erwartungen der Gesellschaft sind nicht oder nur schwer mit ihrem Real- und Ideal-Selbst in Einklang zu bringen [vgl. 4, S. 298]. Durch die Nutzung von soziale Medien ergeben sich heute auch ganz neue Möglichkeiten das Ideal-Selbst zu präsentieren und in den Vordergrund zu stellen. Durch sogenanntes „impression management“ versuchen die Nutzer andere dazu zu bringen, sie so zu sehen, wie sie gerne gesehen werden möchten. Die Fotos, Videos und Texte, die hochgeladen werden, sind meist gut überlegt und überarbeitet, um den Eindruck, den andere von der eigenen Person haben, zu kontrollieren und zu steuern. Im Internet haben sie die maximale Kontrolle darüber, welche Informationen sie über sich preisgeben und wie sie sich darstellen wollen [vgl. 5].

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The Toxic World of Self Help: Hustle Culture, Toxic Positivity, Addiction, and Fake Gurus.

Was bedeutet Toxic Positivity?  

Mit einer optimistischen und positiven Grundhaltung durch das Leben zu gehen ist nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil. Es verleiht Motivation Dinge anzugehen und auch nach negativen Erfahrungen wieder aufzustehen und weiterzumachen. Menschen, die optimistisch denken sind glücklicher, erfolgreicher [vgl. 6, S. 315] und haben sogar einen besseren physischen Gesundheitszustand [vgl. 7], als Menschen, die dazu neigen, pessimistisch zu denken. „Toxic Positivity“ ist noch kein wissenschaftlich untersuchtes Phänomen und es existiert keine feste Definition des Begriffs. Der Begriff ist geprägt durch seine Verwendung von Nutzern sozialer Netzwerke, die ihn einsetzen, um ihre eigenen Beobachtungen anderer Nutzer zu beschreiben. Es handelt es sich dabei jedoch um eine zwanghafte gute Stimmung, die keine negativen Gefühle bei sich selbst und anderen zulässt [vgl. 8]. Dabei wird die Haltung vertreten, dass man in jeder Situation glücklich sein und nur das Positive sehen sollte. Dies entspricht nicht der Realität, denn Menschen und ihre Leben sind nicht perfekt. Negative Gefühle wie Neid, Wut und Trauer gehören zum Leben dazu. Um immer gute Stimmung zu haben, müssen diese „schlechten“ Emotionen also ignoriert und unterdrückt werden.

Das Unterdrücken von Gefühlen kann schwerwiegende Folgen haben. Das Verstecken und Abstreiten von Gefühlen setzt den Körper unter enormen Stress, was zu erhöhtem Blutdruck führt. Die Folge davon können Herzerkrankungen, sowie Augen- und Nierenschäden sein. Der Zusammenhang zwischen Repression und erhöhtem Blutdruck ist eindeutig nachgewiesen [vgl. 9, S. 649]. Außerdem können sie psychische Krankheiten wie Depressionen und Angststörungen auslösen [vgl. 10]. Ist es nicht möglich die Gefühle zu unterdrücken kann die Denkweise, dass man alles immer positiv sehen und glücklich sein soll, zu Scham- und Schuldgefühlen führen. Negative Emotionen und Gedanken zu haben wird als Versagen angesehen [vgl. 10]. Toxic Positivity kann auch in der Kommunikation mit anderen Personen beobachtet werden. Dazu zählen zum Beispiel das Herunterspielen und nicht Ernstnehmen von Problemen im Sinne von „es könnte schlimmer sein“ oder „so ist das einfach“, statt Verständnis zu zeigen. Negative Emotionen zuzulassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen ist wichtig, um diese zu verarbeiten. Es ist nicht möglich immer glücklich zu sein, sodass sich durch zwanghaftes ignorieren von negativen Emotionen, sich diese immer weiter anstauen und es immer schwieriger wird diese zu ignorieren [vgl. 8].

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The Shadow Of Toxic Positivity.

Toxic Positivity im Influencer Marketing

Influencer*innen stellen sich selbst auf ihren Kanälen fast nur in einem sehr positiven Licht dar. Sie präsentieren sich als glücklich und führen ein vermeintlich perfektes Leben. Das Bild, was entsteht, lässt folgende Eindrücke entstehen:

  • Influencer haben immer neue, trendige Klamotten
  • sie sind immer geschminkt und gestylt
  • in der Familie herrscht immer gute Stimmung und die Kinder sind immer brav
  • sie haben immer durchgehend erholsame Urlaube
  • sie sind jederzeit motiviert Sport zu treiben

Momente, die etwas anderes zeigen, sind eher selten in den sozialen Netzwerken zu sehen. Wie die meisten normalen Nutzer auch, präsentieren sich Influencer*innen möglichst nah zu ihrem Ideal-Selbst. Zusätzlich kommt der Aspekt, dass sie durch ihre Arbeit Geld verdienen, in dem sie Produkte präsentieren und diese ihren Follower*innen weiterempfehlen. Durch Werbung sollen andere Nutzer dazu animiert werden, die beworbenen Produkte zu kaufen und das Zeigen attraktiver Personen begünstigt die Einstellung gegenüber der Werbung und Marke positiv [vgl. 11, S.71]. Der Anreiz ein Produkt aus der Werbung zu kaufen besteht nur dann, wenn diese auch so gestaltet ist, dass ein Verlangen entsteht das Produkt zu besitzen. Wird zum Beispiel ein Shampoo von einer Person mit glänzenden, weichen Haaren empfohlen ist es wahrscheinlicher, dass die Zuschauer sich für das Produkt interessieren, als wie wenn es von einer Person mit brüchigen, fettigen Haaren präsentiert wird. Es wird der Wunsch und die Vorstellung geweckt, durch den Kauf des Produktes ebenfalls solch schöne, gepflegte Haare zu erhalten. Aus diesem Grund wählen Unternehmen die Influencer, die ihr Produkt repräsentieren sollen, sorgfältig aus und suchen sich diejenigen aus, die ihr Produkt am „perfektesten“ darstellen können. Um möglichst gute Aufträge zu erhalten ist es also für die Influencer*innen von Vorteil sich immer positiv und „perfekt“ darzustellen. Dadurch werden sie zu einem attraktiven Werbepartner für Unternehmen, da sie so den Zuschauern den Eindruck vermitteln, dass man durch den Besitz der gleichen Produkte wie sie, ebenso ein perfektes und glückliches Leben, das durch ihre Kanäle vermittelt wird, erreichen kann. Aus diesem Grund kann die Selbstpräsentation vieler Influencer*innen als toxisch positiv bezeichnet werden, da sie sich und ihr Leben als möglichst makellos darstellen. Um als Werbepartner für möglichst viele Unternehmen in Frage zu kommen teilen sie selten Probleme und alltägliche Sorgen mit ihren Follower*innen. Obwohl die Influencer*innen nur einen Ausschnitt ihres Lebens online teilen, indem sie genau ausgewählte Fotos, geschnittene oder sehr kurze Videos hochladen, entsteht der Eindruck für die Follower*innen, dass dies dem gesamten Leben der Influencer*innen entspricht. Dies ist mit dem mit Kahneman’s WYSIATI-Phänomen zu erklären. Diese Abkürzung, die für „What You See Is All There Is“ steht, beschreibt, dass das menschliche Gehirn innerhalb kürzester Zeit mit den wenigen ihm vorliegenden Informationen eine für sich sinnvolle Geschichte zusammenstellt, um das Gesehene zu verstehen und einzuordnen [vgl. 6, S. 112]. Zeigt sich eine Influencerin in ihrer Instagram-Story beispielsweise geschminkt, gestylt und lächelnd für eine Minute am Tag, erweckt dies den Eindruck, ihr ganzer Tag verlief auf diese Weise, denn andere Informationen stehen in diesem Moment über ihren Tagesverlauf nicht zur Verfügung. Dass die Möglichkeit besteht, dass sie den Rest des Tages schlechte Laune hatte, kommt nicht als erstes in den Sinn.

Auswirkungen

Die Auswirkungen, die Influencer auf ihre Follower*innen haben, wenn sie sich selbst und ihr Leben immerzu positive und perfekt darstellen, also toxisch positiv, kommen durch soziale Vergleiche zustande. Menschen orientieren sich bei ihrer Selbsteinschätzung an anderen Personen, um für sich selbst anhand dieser Basis feststellen zu können, wie gut oder schlecht sie in einem bestimmten Bereich sind. Diese Vergleiche finden automatisch statt, wenn Informationen über andere Menschen aufgenommen werden. Es werden dabei drei verschiedene Typen von Vergleichen unterschieden [vgl. 12, S.300].

Der Aufwärts-Vergleich beschreibt den Vergleich mit Menschen, die im betreffenden Merkmal überlegen, also „besser“ sind. Dies kann sich motivierend auswirken und als Antrieb dienen, solange man glaubt, dass das angestrebte Ziel, also die Ausprägung des Merkmals der verglichenen Person, erreichbar ist. Dies kann zum Beispiel ein Hobby-Fotograf sein, der seine Fotografie-Fähigkeiten mit einem Profi-Fotografen vergleicht und dadurch angespornt ist, sich weiter zu verbessern. Wird die Vergleichsbasis aber zu hoch angesetzt und ist unmöglich zu erreich, wirkt sich dies negativ aus. Das Selbstwertgefühl wird beeinträchtigt, da die Versuche, dem Vorbild zu folgen, erfolglos bleiben und in Enttäuschung enden [vgl. 12, S.300].

Abwärts-Vergleiche bezeichnen den Vergleich von Menschen, die im Bereich des vergleichenden Merkmals unterlegen, also „schlechter“ sind. Dabei wird zwischen kontrastiver Verarbeitung und assimilativer Verarbeitung unterschieden. Bei der kontrastiven Verarbeitung grenzt die Person sich von der Vergleichsperson ab, während bei der assimilativen Verarbeitung befürchtet wird, dass sie selbst auch in diese Lage kommen könnten. Der Abwärts-Vergleich hat positive Folgen auf das Selbstwertgefühl, denn selbst wenn man nicht hundertprozentig zufrieden ist mit dem eigenen Leben, erinnert der Vergleich mit Personen, die einem unterlegen sind, daran, dass es schlechter sein könnte [vgl. 12, S.300].

Der letzte Vergleichstyp ist der horizontale Vergleich, wobei Menschen sich mit Personen vergleichen, die eine ähnliche Ausprägung des Merkmals besitzen. Dies fördert eine realistische Selbsteinschätzung [vgl. 12, S.300]. Der Vergleich mit toxisch positiven Influencer*innen ist ein Aufwärts-Vergleich, der jedoch mit einer unrealistisch hohen Vergleichsbasis verbunden ist und somit negative Gefühle auslösen kann. Das Selbstwertgefühl des Konsumenten kann beeinträchtigt werden, wenn immer wieder Enttäuschen beim Versuch perfekt zu sein eintreten und das Gefühl nicht gut genug zu sein entsteht. Ein geringes Selbstwertgefühl ist eine Ursache für Depressionen [vgl. 13, S.355], sodass die Folgen von Konsum toxischer positiver Inhalte nicht verharmlost werden sollte. Durch das Gefühl andere ähnliche Personen, z. B. Influencer*innen, haben keine Probleme, kann es zu Hemmungen kommen, die eigenen Probleme und Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen. Dies kann zu Einsamkeit und Isolation führen [vgl. 10].

Beispiele

Nachfolgend werden Instagram-Fotos von einflussreichen deutschen Influencer*innen vor allem auf ihre Geschlechterdarstellung, aber auch auf „Toxic Positivity“ analysiert. Alle Influencer*innen haben durch ihre große Anzahl an Follower*innen eine große Reichweite und dadurch signifikanten Einfluss auf eben diese. 

Reise-Branche

Madeleine Schneider-Weiffenbach, bekannt unter ihrem Nutzername „pilotmadeleine“, ist eine ausgebildete Pilotin, die als Reisebloggerin arbeitet. Mit 1,3 Millionen Followerinnen auf Instagram gehört sie zu den erfolgreichsten Influencerinnen Deutschlands. Nach eigenen Angaben verdienen sie und ihr Partner 80% ihres Einkommens durch Reisekooperationen. Dazu gehören vor allem Hotels und Tourismusorganisationen, aber auch Fluggesellschaften. Auf ihrem Account bewirbt sie diese, indem sie Fotos, sowie detaillierte Berichterstattungen über ihren Aufenthalt teilt, um ihre Follower*innen dazu zu animieren ebenfalls dort Urlaub zu machen. Da sie selbst meist im Mittelpunkt ihrer Fotos steht, bewirbt sie zusätzlich oft auch die Modemarken ihrer Kleidung. Manchmal postet sie Fotos, auf denen nur das Reiseziel oder die Unterkunft zu sehen ist, doch in den allermeisten Bildern ist sie selber im Zentrum des Bildes zu sehen. Auf einigen Bildern ist sie nicht alleine zu sehen, sondern posiert gemeinsam mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Kind.

In der Abbildung 1 ist pilotmadeleine gemeinsam mit ihrem Partner bei einem Besuch heißer Quellen in der italienischen Toskana zu sehen. Die Posen der beiden sind geschlechterstereotyp und zeigen eine klassische Geschlechterrollenverteilung. Er hat einen sehr muskulösen Körper, der durch breitbeiniges Sitzen und das Ablegen der Hand auf dem Oberschenkel noch größer wirkt. Seine Körperhaltung nimmt viel Raum ein und wirkt sehr dominant. Er schaut sie mit ernstem Blick an und sein Körper ist ihr leicht zugewandt, sodass er eine beschützende Position einnimmt, während sie eine gegensätzliche Pose einnimmt. Sie schaut scheinbar schüchtern und lächelnd auf den Boden, was Unsicherheit ausstrahlt. Ihren Körper macht sie klein, indem sie die Beine anwinkelt. Ihre Arme liegen eng am Körper an und die eine Hand zwischen den Oberschenkeln. Die Rollendarstellung ist klar: der Mann als starker Beschützer und die Frau als Beschützenswerte.

Abbildung 1: pilotmadeleine und ihr Partner in beschützender Pose.

In Abbildung 2 ist besonders gut zu erkennen, dass die Pose und das Timing des Bildes genau durchdacht wurden. Ihre Füße sind voreinander gestellt, als „zufällig“ überkreuzte Beine. Die hohen Schuhe und deren Schnürung wirken die Beine noch länger und werden besonders betont. Da die Länge des Kleides die Beine eigentlich verdecken würde, wurde das Kleid auf das Balkongeländer drapiert, sodass die Beine im Bild gut sichtbar sind. Ihre Ellbogen liegen nah am Körper, sodass sie wenig Raum einnimmt. Ihr Blick ist mit einem leichten Lächeln verträumt in die Ferne gerichtet. Die Pose enthält somit typische Elemente, die in eine tradiert weibliche Körperdarstellung einzuordnen sind. Zusätzlich wurde der Zeitpunkt des Fotos genau gewählt und professionell eingefangen. Der Balkon wurde bewusst für den besonderen Blick auf das Meer und die Ortschaft gewählt. Das Sonnenuntergangs ist noch zu sehen und taucht die Szene in ein warmes Licht, aber die Straßenlaternen der Ortschaft im Hintergrund sind bereit an gegangen und als „funkelnde“ Punkte zu sehen. Dieses Bild so wie alle anderen Bilder auf dem Account setzen sie perfekt in Szene und „Schönheitsmakel“ sind nicht zu sehen, sie scheint ein perfektes, sorgenfreies Leben immer im Familienurlaub an luxuriösen Orten zu führen.

Abbildung 2: pilotmadeleine in Italien.

Besonders interessant ist der Vergleich der Selbstdarstellung von pilotmadeleine und dem männlichen Reiseinfluencer pilotpatrick. Der Account wird von Patrick Bieden-Kapp geführt, der, wie auch „pilotmadeleine“, eine Pilotenausbildung absolviert hat und mit 768.000 Follower*innen ebenfalls eine große Reichweite hat. Auch er bewirbt Reiseunterkünfte, Reisedestinationen und Fluggesellschaften. Auf fast allen seinen Bildern ist er in alleine zu sehen. Familie oder Partner sind nicht Teil seiner Selbstinszenierung. Im Gegensatz zu „pilotmadeleine“, die ihre Fachkompetenz nur selten in ihren Beiträgen erwähnt oder zeigt, ist dies auf dem Profil von „pilotpatrick“ nicht zu übersehen. In sehr vielen seiner Bilder trägt er eine Pilotenuniform und fotografiert sich oft vor Hintergründen, die seine Kompetenzen hervorheben, wie Flugzeug-Cockpits oder in Flughäfen.

In der Abbildung 3 ist pilotpatrick in einer Pilotenuniform vor einem Flugzeug zu sehen. Durch das Tragen einer Uniform versetzt er sich gegenüber den durchschnittlichen Instagramnutzern, die in der Regel keine Pilotenausbildung haben, in eine überlegene Position, da er vermittelt, dass er besondere Fachkenntnisse hat. Dadurch wird er zu einer Respektperson und ihm wird mehr Vertrauen zugesprochen, da er „weiß, wovon er spricht“, wenn er zum Beispiel Airlines oder Reiseziele empfiehlt. Die breitbeinige Pose strahlt zusätzlich Dominanz aus und nimmt viel Raum ein. Er schaut in die Ferne und greift sich lässig an die Sonnenbrille, wie um diese gerade zu rücken. Das Foto scheint spontan und zufällig entstanden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass er sich absichtlich und überlegt vor dem Flugzeug positioniert hat. Der Kamerawinkel beim Aufnehmen des Bildes lag unter pilotpatrick, sodass er größer, fast so groß wie das Flugzeug, erscheint.

Abbildung 3: pilotpatrick vor einem Flugzeug.

Auch auf Bilder, die nicht an Flughäfen oder in Flugzeugen aufgenommen wurden und nicht direkt etwas mit dem Fliegen zu tun haben, gibt es immer wieder Elemente, die ihn mit dem Pilotenberuf in Verbindung bringen. Dazu verwendet er auf seinen Fotos kleinere Flugzeugmodelle, wie zum Beispiel einen aufblasbaren Airbus als Pooldeko (vgl. Abbildung 4) oder ein Surfboard am Strand an das Flugzeugflügel nachträglich hinzugefügt wurden. Er verwendet außerdem auch Elemente anderer Uniformen, zum Beispiel einen Sonnenbrillenaufsatz in Form einer Kapitänsmütze, als er ein Bild auf einem Boot aufnimmt. Das Image seines Profils und seiner Selbstpräsentation stützt sich vor allem auf seine besondere Kompetenz als Pilot, welche für ihn sehr wichtig ist und eine große Rolle spielt. Er präsentiert diese durch Symbole wie Uniformen, Flugzeuge und Flughäfen in fast allen seiner Bilder.

Abbildung 4: pilotpatrick.

Fitness-Branche

Pamela Reif ist eine Fitness-Influencerin, die durch ihre Workout-Videos bekannt wurde. Mittlerweile deckt sie jedoch auch verschiedene andere Branchen, wie Mode, Ernährung und auch Reisen, ab. Mit 7,2 Millionen Followerinnen auf Instagram und 6,2 Millionen Followerinnen auf YouTube ist sie eine der erfolgreichsten Social-Media-Stars Deutschlands. Im Mittelpunkt ihrer Online-Präsenz steht ihr Körper und Tipps, wie es für ihre Follower*innen möglich ist, ebenfalls so einen Körper zu erreichen.

In Abbildung 5 ist Pamela Reif am Strand stehend zu sehen in der von Götz beschriebenen Pose des „zufällig“ überkreuzten Beins. Sie steht auf den Zehenspitzen , sodass ihre Beine länger wirken und hat ein Bein vor das andere gestellt. Ihre Hüfte ist zur Seite gestreckt, was ihre Taille schmaler erscheinen lässt. Indem sie ihre Hand auf die Hüfte legt wird die Aufmerksamkeit noch einmal besonders auf diesen Bereich des Körpers gelenkt. Mit ihrer anderen Hand greift sie sich ins Gesicht, was Verlegenheit oder Unsicherheit ausstrahlt. Ihr Gesichtsausdruck ist freundlich und sie lächelt. Schaut man das gesamt Foto an, nimmt ihr Körper durch ihre Haltung sehr wenig Raum ein. Die Pose, die sie für das Bild gewählt hat, fällt in allen Kategorien (Körperhaltung, Gestik und Mimik) stereotyp weiblich aus.

Abbildung 5: Pamela Reif mit „zufällig“ überkreuztem Bein.

Eine weitere stereotypisch weibliche Pose ist die S-Form. Der Post der Abbildung 6 zeigt diese Art der Körperhaltung sehr deutlich. Sie kippt die Hüfte nach hinten und streckt den Brustkorb nach vorne, sodass der Körper eine S-Form bekommt. Die Pose ist „sexy“ und erotisch, da die sekundären Geschlechtsmerkmale betont werden. Das Tragen von Unterwäsche unterstreicht die Stimmung des Bildes. Ihr Blick ist scheinbar schüchtern nach unten gerichtet, die Hand an der Stirn. Auf diesem, so wie grundsätzlich allen ihrer Fotos, zeigt sie sich geschminkt und mit gestylten Haaren. Ihr Aussehen entspricht den gängigen Schönheitsidealen ohne sichtbare „Makel“.

Abbildung 6: Pamela Reif in der S-Pose.

Mode-Branche

Pia Wurtzbach ist deutsch-philippinisches Model und mit 11,8 Millionen Follower*innen eine der reichweitenstärksten Instagram-Accounts in Deutschland. Sie bewirbt Mode-, Schönheits- und Lifestyle-Produkte. Auf ihrem Profil ist meistens sie selbst Mittelpunkt der Bilder, manchmal auch zusammen mit ihrem Partner.

Auch sie nimmt die bei weiblichen Influencer*innen weit verbreitete Pose des „zufällig“ überkreuzten Beins ein. Anders als Pamela Reif posiert sie ihre Hände jedoch vor dem Genitalbereich und schaut von unten direkt in die Kamera. Der Kopf ist leicht schräg gelegt und sie lächelt mit geschlossenem Mund. Die Pose sowie ihr Gesichtsausdruck sind unschuldig und sehr kindlich. Sie macht sich auf dem Foto klein und hat einen sehr unsicheren Stand. Die Selbstdarstellung lässt sich in der Kategorie der „sympathisch Naiven“ einordnen.

Abbildung 7: Pia Wurtzbach mit „zufällig“ überkreuztem Bein.

Ein weiterer bekannter Mode-Influencer ist Toni Mahfud, der ebenfalls als Model tätig ist. Besonders auffällig ist die Farbpalette und Bildbearbeitung seiner Bilder. Die meisten einer Bilder sind sehr dunkel, mit sehr wenigen bunten Farben und hohem Kontrast. Dunkle Farben werden in unserer Gesellschaft als maskulin angesehen. In Abbildung 8 ist er in komplett schwarzer Kleidung sowie einem schwarzen Motorrad im Hintergrund zu sehen. Er läuft mit großen Schritten, was sehr selbstbewusst wirkt und schaut zielstrebig in die Ferne. Seine Pose nimmt viel Raum ein und er wirkt besonders groß durch den Kamerawinkel von unten. Er scheint genau zu wissen was er tut und es gibt keine Anzeichen von Unsicherheit oder Schüchternheit.

Abbildung 8: Toni Mahfud mit Motorrad.

Literatur

[1] Eschenbeck, H., Knauf, R.-K.: Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung. In: Lohaus, A. (Hrsg.): Entwicklungspsychologie des Jugendalters, S.23 – 47, Springer-Verlag GmbH Deutschland, Berlin (2018).

[2] Mathis, E.: Identitätsentwicklung aus Sicht der Psychologie. Zugriff am: 16.02.2021.

[3] Schreiner, C., Weber, S.: Wer bin ich? Wie sich Facebook und Co auf unsere
Selbstwahrnehmung auswirken. In: Mind Magazin, 5. Ausgabe, 2015. Zugriff am: 26.02.2021.

[4] Montada, L, Oerter, R.: Entwicklungspsychologie. Psychologie Verlags Union, 2. Auflage, 1987.

[5] Picone, I.: Impression Management in Social Media. In: The Digital Encyclopedia
of Digital Communication and Society, John Wiley & Sons, Inc. (2015).

[6] Kahneman, D.: Schnelles Denken, langsames Denken. Penguin Verlag, 16. Auflage, 2011.

[7] Harvard Health Publishing: Optimism and your health. Zugriff am: 26.02.2021.

[8] Nagels, P.: Toxic Positivity: Darum solltest du dich nicht immer
auf das Positive konzentrieren. Zugriff am: 27.02.2021.

[9] Mund, M., Mitte, K.: The Cost of Repression: A Meta-Analysis on the Relation between
Repressive Coping and Somatic Diseases
. Health Psychology, Ausgabe 31, 2012.

[10] Quintero, S., Long, J.: Toxic Positivity: The Dark Side of Positive Vibes. Zugriff am: 26.02.2021.

[11] Homburg, C.: Marketingmanagement. 7. Auflage, Springer Fachmedien GmbH, Wiesbaden, 2020.

[12] Döring, N.: Wie Medienpersonen Emotionen und Selbstkonzept der Mediennutzer beeinflussen. In: A. Fahr, W. Schweiger (Hrsg.): Handbuch Medienwirkungsforschung, S. 295 – 310, Springer VS, Wiesbaden, 2013.

[13] Deutsches Ärzteblatt PP: Depressionen: Begünstigt durch ein geringes
Selbstwertgefühl
. In: Deutsches Ärzteblatt PP, Ausgabe 8, 2013.

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