Ereignishorizont Digitalisierung - Regulierung

Über die Regulierung der Digitalisierung – oder: Wann ist der Point-of-no-Return, ab dem Tech-Konzerne mächtiger als Staaten werden?

Am 10.April 2018 musste der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg, das erste Mal dem amerikanischen Kongress Rede und Antwort stehen; konkret vor dem „Commerce and Judiciary Committee on Privacy, Data Mining, Regulations„. Ganze fünf Stunden. Zu dramatisch waren die Enthüllungen um die britische Firma „Cambridge Analytica“ und die Einmischung Russlands in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zwei Jahre zuvor. Die Befragung Zuckerbergs zeigte deutlich v. a. eines: Die Kluft zwischen dem, was globale Tech-Konzerne tun und dem, was staatliche Institutionen und Behörden wahrnehmen und noch beeinflussen können, ist dramatisch. Auf der einen Seite die libertäre, an ihre digitale Magie und Kunst glaubende Digitalisierungselite. Auf der anderen Seite Politiker und Beamte, die zu oft gar nicht begreifen und verstehen, was in der digitalen Welt alles passiert und möglich ist.

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Video: Zuckerberg 2018 vor dem amerikanischen Kongress.

Tech-Konzerne in der Defensive

Was 2018 mit der Anhörung Zuckerbergs begonnen hatte fand im Juli 2020 seine Fortsetzung, als gleich vier Chefs globaler Tech-Konzerne (Tim Cook [Apple], Sundar Pichai [Google], Jeff Bezos [Amazon] und erneut Mark Zuckerberg [Facebook]) vom gleichen Senatsausschuss „gegrillt“ wurden. Im Fokus der Befragungen dieses Mal: die Frage, ob und wie Internetkonzerne und die Digitalisierung reguliert werden können und müssen. Schon in 2018 hatte Zuckerberg die Frage nach Regulierung klar beantwortet: “My position is not that there should be no regulation.“ Keine Regulierung! Und weiter: „I think the real question, as the internet becomes more important in people’s lives, is what is the right regulation, not whether there should be or not.“ Auch jetzt, zwei Jahre später, folgten alle vier CEOs einer klassischen Verteidigungsstratege: 1. Die Produkte und Dienstleistungen der Tech-Konzerne würden von den Nutzern geliebt, 2. die Konzerne schafften Jobs, 3. der Wettbewerb würde härter und härter (gerade durch die allmächtige, weil unregulierte chinesische Konkurrenz), 4. die Konzerne stünden für den globalen Wettbewerbsvorteil der amerikanischen Wirtschaft und 5. wären damit Grundlage des Wohlstands in den USA. Am Ende dieser tagelangen Anhörungen war klar: die globalen Tech-Konzerne waren sich mit Händen und Füßen gegen ihre Regulierung.

Gibt es einen Point-of-no-Return?

Vergessen wird angesichts dieser manchmal geradezu grotesken wirkenden amerikanischen „Show-Politik“ (oder Politikshow) oft, dass die Digitalisierung und mit ihr die globalen Tech-Konzerne immer mehr eine Stellung einnehmen, die es fraglich erscheinen lässt, ob es zukünftig überhaupt noch möglich sein wird, regulierend, also steuernd einzugreifen. Zu groß werden Marktmacht und damit einhergehend politischer Einfluss des Silicon Valley. Vor allem in den USA. Und damit einhergehend aber auch in Europa, das angesichts fehlender eigener Tech-Champions an der digitalen Nabelschnur (bzw. Kette) der USA hängt. Die entscheidende, aber heute unbeantwortete Frage ist: Werden global agierende Tech-Konzerne schon bald mächtiger als Staaten? Und damit einhergehend (vgl. Abbildung 1): Gibt es ist einen Point-of-no-Return, ab dem Tech-Konzerne mächtiger als Staaten werden? Einen Punkt also, an dem jeder Regulierungsversuch zwangsläufig ins Leere läuft und scheitert? Falls ja: Wann ist dieser Punkt erreicht?


Abbildung 1: Gibt es einen Point of no Return staatlicher Regulierung?

Herausforderung Regulierung

Festzuhalten ist: die staatliche Regulierung des Internets ist so alt wie das Internet selbst. Bis heute arbeiten sich Politiker und Parlamente daran ab, die Hoheit staatlicher Gewalt ins digitale Zeitalter hinüber zu retten. Bislang weitgehend erfolglos, wenn man ehrlich ist. Beispiele typischer Anknüpfungspunkte waren und sind dabei der Umgang mit (problematischen) Netzinhalten, die Vorratsdatenspeicherung oder die Netzneutralität.

Obwohl eine wohl durchdachte und wirksame Regulierung in diesen und vielen anderen Bereiche essentiell für eine faire Entwicklung und Gestaltung der Digitalisierung wäre, scheint der Staat zunehmend ohnmächtig zu sein. Die Gründe sind vielfältig. Zwei Probleme stechen besonders heraus:

Problem #1: Die Diskussionen zur Regulierung finden weitgehend hinter verschlossenen Türen zwischen Digitalexperten der politischen Parteien und Vertretern von NGOs und Netzaktivisten statt. Die breite Öffentlichkeit scheint auch wenig Interesse daran zu haben, dass dies anders wird. Ausnahme waren zuletzt lediglich die in der Öffentlichkeit prominent sichtbaren Diskussionen um das europäische Urheberrecht und Uploadfilter. Angestachelt von vielen um ihr Geschäftsmodell fürchtenden Influencer*innen gingen im Frühjahr 2019 viele v. a. junge Menschen das erste Mal in ihrem Leben auf Demonstrationen, um gegen die (vermeintliche) Bedrohung ihres digitalen Lifestyles zu protestieren. Schon ein Jahr später war von der Aufregung nicht mehr viel zu spüren – obwohl es jetzt um die wichtigen Details der Umsetzung ging. Eindrücklicher Beweis dafür, dass Regulierung kein „sexy“ Thema ist und die breite Öffentlichkeit dauerhaft nicht interessiert zu sein scheint. Die gesamtgesellschaftliche Durchschlagskraft vieler Gesetzesinitiativen bleibt somit gering.

Problem #2: Das zweite und vielleicht viel größere Problem ist, dass vorhandene Instrumente staatlicher Ordnungskraft, wenn vorhanden, oft an der falschen Stelle ansetzen und auch damit jede gesamtgesellschaftliche Wirkung vermissen lassen. Prominentes Beispiel ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die DSGVO ist ein Gesetz, welches durchaus eine unbequeme und harte Regulierung globaler Tech-Konzerne erlauben würde. Allein: die dezentral organisierten und weitgehend unabgestimmt handelnden Aufsichtsbehörden konzentrieren sich eher auf die Gängelung von denjenigen Nutzern und Unternehmen, die mangels Alternativen die Produkte und Services von Google, Amazon und Co. verwenden. Eine gemeinsame behörden- oder EU-Staaten-übergreifende Linie gegenüber Tech-Konzernen ist kaum erkennbar.

Fazit

Beschäftigt man sch intensiver mit der Frage der Regulierung globaler Tech-Konzerne bleibt das beklemmende Gefühl, dass Unternehmen wie Google, Amazon und Co. tatsächlich schon bald mächtiger als Staaten werden. Der Point-of-no-Return, ab dem diese Entwicklung durch staatliche Gewalt nicht mehr umkehrbar ist, scheint dabei näher als es für uns alle gut wäre.

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