Ereignishorizont Digitalisierung - Smart City

Wohlstand in einer digitalisierten Welt

Zur Entwicklung von Wohlstand und Reichtum im 21. Jahrhundert gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Betrachtet man die Entwicklung der letzten gut zweihundert Jahre, dann ist zwar die Lücke zwischen den ärmsten und den reichsten Menschen der Welt größer denn je zuvor, allerdings können immer mehr Menschen der Armut entfliehen.

Tatsächlich war Anfang des 19. Jahrhunderts die globale Ungleichheit vergleichsweise niedrig. Über 90 Prozent aller Menschen auf unserem Planeten, also fast alle, lebten in ärmlichen Verhältnissen. Fast alle Menschen waren gleich arm. Erst mit der industriellen Revolution begann dann ein Anstieg von Einkommen. Erst in nur wenigen, später in immer mehr Ländern. Trotzdem lebten noch 1981 1,98 Milliarden Menschen von weniger als 1,90 Dollar pro Tag – so definiert die Weltbank „absolute Armut“ [1]. 2015 ermittelte die Weltbank schließlich das erste Mal – also bezogen auf alle vorangegangenen Zeiten – dass weniger als 10 Prozent der Erdbevölkerung in absoluter Armut leben. Was gut klingt, relativiert sich wenn man globale Armut in absoluten Zahlen betrachtet. 10% der Weltbevölkerung sind über 700 Millionen Menschen, die also immer noch in Armut leben. Annähernd so viele Menschen leben heute in absoluter Armut wie vor 200 Jahren. Betrachtet man die Verteilung des Reichtums auf der Welt zeigt sich auch, dass die Schere zwischen Arm und Reich (v. a. Super-Reich) weiter aufklafft und größer ist denn jemals zuvor: Im Jahr 2017 besaßen 0,8 Prozent der Weltbevölkerung 44,8 Prozent des weltweiten Vermögen. 63,9 Prozent der Weltbevölkerung besaßen hingegen lediglich 1,9 Prozent des weltweiten Vermögens. Unbestritten bleibt natürlich: Gerade das explosive Wirtschaftswachstum in China, Indien und anderen Schwellenländern, also die Globalisierung, hat in den letzten 30 Jahren dazu geführt, dass die Einkommen von vielen Menschen in der ärmsten Hälfte der Welt stark gestiegen sind. Vielen Menschen aus der ärmeren Hälfte der Welt gelang es aufzuholen.

Gerade angesichts dieser ambivalenten Entwicklung ist die entscheidende Frage, wie sich die Entwicklung mit der Digitalisierung fortsetzt. Trägt die Digitalisierung dazu bei, dass am Ende mehr Menschen der Armut entkommen und damit einhergehend Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung erhalten? Oder führt die Digitalisierung am Ende zu Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Entkoppelung zwischen digitalisierten und nicht-digitalisierten Teilen des Planeten?

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Dass die Digitalisierung durchaus erhebliche Auswirkungen für einzelne Märkte und das gesamte Wirtschafts- und Wohlstandsmodell haben zeigen Achim Wambach und Hans Christian Müller in ihrem Buch “Digitaler Wohlstand für Alle” [2]. Ihre These: Auch in einer zunehmend digitalisierten Welt bleibt der Wettbewerb zwischen Unternehmen die alles entscheidende Kraft. Damit mögliche Gewinne aber für alle gehoben werden können, muss Wirtschaftspolitik an die neue Zeit angepasst werden. Wambach und Müller zeigen, dass Ideen, die Ludwig Erhard vor vielen Jahrzehnten entwickelt hat, auch im Zeitalter der Digitalisierung Bestand haben. Damals wie heute benötigen Märkte Regeln und müssen beaufsichtigt werden, damit sie zum Wohle aller arbeiten und keine destruktiven Kräfte entwickeln. Gelingt es nicht ALLE mitzunehmen, könnten die Verlierer der Digitalisierung das Tempo des technischen Fortschritts verlangsamen, was am Ende ALLEN schaden würde: Besserqualifizierten, weil deren Löhne weniger rasch steigen. Geringqualifizierten, weil weniger Steuergeld für deren Unterstützung zur Verfügung steht. Damit dies nicht passiert müssen die mit der Digitalisierung einhergehenden Produktivitätsgewinne breit(er) gestreut werden. Es gilt Ideen zu finden, wie alle – und nicht nur die, die es sich leisten können – an den gesamtwirtschaftlichen Vorteilen der Digitalisierung beteiligt werden können.

Welche gesamtwirtschaftlichen positiven Effekte die Digitalisierung haben kann hat eine McKinsey-Studie [3] untersucht. Im Rahmen der Studie wurden in 50 Städten insgesamt 60 digitale Lösungen aus den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Mobilität, Energie, Wasser und Abfall, Wohnen sowie lokales Engagement genauer untersucht. Zusätzlich wurden knapp 20.000 Einwohner befragt. Das Ergebnis: In Städten drehen sich viele Probleme um die immer wieder gleichen Themen: Verkehr, Wohnraum und eine steigende Umweltbelastung. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Digitalisierung dazu beiträgt, die Lebensqualität in Städten zu verbessern. In „Smart Cities“ helfen digitale Lösungen tägliche Pendelzeiten zu reduzieren, die Kriminalitätsrate zu senken, das Müllaufkommen zu verringern und die Luftqualität zu verbessern. Konkret: Mobilitätslösungen, z. B. eine  intelligente Verkehrssteuerung, die Nutzung von Echtzeitinformation in einem integrierten Personennahverkehr und Lösungen für das Smart Parking, können die tägliche Pendelzeit im Durchschnitt um 20 % verringern. In dichter besiedelten Metropolen in Schwellenländern sind sogar bis zu 30 Minuten Einsparung möglich. Telemedizin, z. B. die Echtzeitüberwachung chronisch Kranker und ein besseres Monitoring beim Ausbruch ansteckender Krankheiten, kann helfen die Krankheitslast in Städten um bis zu 15% reduzieren. Die Umweltbelastung, die von Städten ausgeht, kann deutlich verringert werden, wenn Gebäude automatisiert gekühlt und geheizt werden, wenn intelligente Energienetze eingesetzt werden und wenn Abfallgebühren nach tatsächlicher Müllmenge abgerechnet werden. 15% geringere CO2-Emissionen, 30% weniger Wasserverbrauch und 20% weniger Abfall sind machbar. Der Polizei können datenbasierter Kriminalitätsvorhersagen und Sicherheitssysteme in Wohnhäusern helfen die Kriminalitätsrate um 30 bis 40% zu verringern. Smarte Ampelschaltungen können helfen die Anfahrtszeit für Rettungswagen von durchschnittlich acht auf sechseinhalb Minuten zu verkürzen.

Auch die Studie “Digitaler Strukturwandel und der Sozialstaat im 21. Jahrhundert [4] von der Deutschen Bank zeigt positive Auswirkungen der Digitalisierung. So kann die Digitalisierung helfen die Auswirkungen der zunehmenden Überalterung unserer Gesellschaft, insbesondere einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung, aufzufangen. Verbessert die Digitalisierung auch noch die schwächelnde Produktivität (und dies ist noch immer unklar, wie wir später noch sehen werden), könnte das zusammen mit dem knapperen Angebot von Erwerbstätigen sogar Lohnsteigerungen ermöglichen. Werden Gewinne aus der Digitalisierung zudem seitens des Staates hinreichend und intelligent besteuert, kann die Digitalisierung auch zu einer Stärkung der Staatsfinanzen führen. Dies wiederum hilft die kostspieligen Folgen der absehbaren Vergreisung unserer Gesellschaften abzumildern. Gleichwohl warnt die Studie der Deutschen Bank aber auch: Im Fall einer technologischen Massenarbeitslosigkeit würden große Haushaltslöcher entstehen, da die Besteuerung von Digitalisierungsgewinnen nicht ausreicht, die wegbrechenden Lohnsteuer- und Sozialbeitragseinnahmen auszugleichen sowie höhere Ausgaben für die soziale Grundsicherung zu finanzieren. Schon bei einer durch die Digitalisierung ausgelösten Halbierung des Beschäftigungsniveaus sind die europäischen Sozialstaaten mit einer enorm hohen jährlichen Finanzierungslücke von durchschnittlich 7% des BIP konfrontiert. In Deutschland könnte die Finanzlücke sogar bei knapp 10% des BIP liegen.

Quellen

[1] The World Bank: World Development Indicators 04/2016.
[2] A. Wambach, C. Müller: “Digitaler Wohlstand für Alle”. Campus Verlag, 2018.
[3] McKinsey: “Smart Cities: Digital Solutions for a more Livable Future”. 2018.
[4] S. Becker: “Digitaler Strukturwandel und der Sozialstaat”. 2019.

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