Ereignishorizont Digitalisierung - Gesichtserkennung

Die Digitalisierung unserer Gesichter

In 2018 wurden von Alibaba in China in 50 Hotels intelligente Gesichtserkennungslösungen installiert. An der Rezeption ausgerüsteter Hotels wird das Gesicht eines jeden Gastes gescannt und dann anschließend als „Schlüssel“ für verschiedene Komfort-Funktionen verwendet. Die Hotelzimmertür erkennt automatisch, wenn der das Zimmer bewohnende Gast vor der Tür steht und öffnet sich. Der Fahrstuhl fährt automatisch zu dem Stockwerk, auf dem ein Fahrtstuhlnutzer sein Zimmer hat. Wird ein Scan des Gesichts eines Hotelgasts bereits vor dem Check-In vom Gast bereitgestellt, dauert der Check-In ins Hotel weniger als 30 Sekunden.

Auch bei den wegen Corona ins Jahr 2021 verschobenen Olympischen Spielen in Tokyo soll ein leistungsstarkes System zur Erkennung von Gesichtern installiert und verwendet werden. Bisher werden zugangsbeschränkte Bereiche, z. B. bei Großveranstaltungen, häufig von Sicherheitspersonal oder freiwilligen Helfern überwacht und kontrolliert. Entsprechende Einlasskontrollen funktionieren dabei über analoge oder digitalisierte Zugangslisten und/oder Zugangskarten. Das Problem dabei: Zugangslisten können manipuliert werden. Zugangskarten können weitergegeben oder gestohlen werden. In Tokyo sollen daher jetzt schon vor Beginn der sportlichen Wettkämpfe die Gesichter aller Athleten und auch der Helfer gescannt und gespeichert werden. Der Zugang zu Athletenbereichen und Wettkampfstätten wird dann durch das Blicken in eine Kamera möglich, die Gesichter erfasst und mit in einer Datenbank hinterlegten Rechten abgleicht. So soll die Einlasskontrolle beschleunigt und sicherer gemacht werden. Die Überprüfung eines Gesichts soll nur 0,3 Sekunden dauern.

Auch in Deutschland wird bereits mit Gesichtserkennung für einen flächendeckenden Einsatz experimentiert. So startete am 1. August 2017 ein Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz. Die eingesetzte Gesichtserkennungssoftware (verglichen wurden sogar mehrere Programme) sollte aus dem Material von drei am Bahnhof installierten Kameras registrierte Testpersonen erkennen und herausfiltern. Nach Beendigung des Pilotprojektes veröffentlichten die Verantwortlichen einen Abschlussbericht, der die Tests am Berliner Südkreuz als erfolgreich bewertete. Die beste Software lieferte eine Trefferrate von über 80 Prozent, in mehr als 8 von 10 Fällen wurde eine Testperson, die durch den Bahnhof lief, also auch erkannt. Der Test habe gezeigt, so eine Pressemitteilung des Innenministeriums, „dass Gesichtserkennungssysteme in Zukunft einen wesentlichen Mehrwert für die polizeiliche Arbeit, insbesondere der Bundespolizei, darstellen können“.

Wie funktioniert Gesichtserkennung?

Grundprinzip der Gesichtserkennung ist die Erfassung von Gesichtsmerkmalen und der Abgleich dieser Merkmale mit einer Datenbank, die einen Abgleich erfasster Gesichtsmerkmale und in der Datenbank hinterlegter Gesichtsmerkmale erlaubt – um ein Gesicht eindeutig einer menschlichen Person zuordnen zu können

Die Analyse von Gesichtsmerkmale kann dabei auf zwei Arten erfolgen: mit 2D Methoden und mit 3D Methoden. Die einfacheren 2D Methoden basieren auf der Analyse zweidimensionaler Bilder, also z. B. Fotos. Im Fokus stehen dabei Gesichtsmerkmale wie Augen und Augenbrauen, die Nase, der Mund, Kinn und Wangen. Diese typischen Gesichtsmerkmale werden gemessen – insbesondere deren Größe, Form und relative Position zueinander – und anschließend in ein mathematisches Abbild (oder Modell) des Gesichts überführt. Dazu gibt es mittlerweile unzählige Verfahren. Eingesetzt wird zweidimensionale Gesichtserkennung heute z. B. in vielen Smartphones zur Entsperrung der Geräte. Der Nachteil von 2D Methoden – und Grund für die Entwicklung fortgeschrittenerer 3D Methoden – ist die Schwäche entsprechender Verfahren in dunklen Umgebungen.

Die dreidimensionale Gesichtserkennung ergänzt 2D Methoden um einen Infrarot-Projektor und Infrarot-Messungen. Der Infrarot-Projektor projiziert ein Gitter aus Infrarot-Punkten auf das Gesicht eines Menschen. Eine Infrarot-Kamera erfasst dann diese Punkte und berechnet aus diesen ein dreidimensionales Abbild (oder Modell) des gescannten Gesichtes. Eine solche dreidimensionale Gesichtserkennung durch Infrarot funktioniert auch in absoluter Dunkelheit (während es jetzt bei grellem Sonnenlicht zu Problemen kommen kann).

Sowohl 2D als auch 3D Methoden sind biometrische Authentifizierungsmethoden. Ziel ist, wie bei Passwörter oder PIN-Nummern, eine Person eindeutig zu identifizieren. Dies funktioniert, weil das biometrische Merkmal „Gesicht“ und seine Teilmerkmale (Augen, Augenbrauen, Nase, Mund, Kinn, Wangen) bei jedem Menschen einzigartig sind (wie ein Fingerabdruck). Anhand des Gesichts lässt sich also die Identität einer Person eindeutig feststellen.

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Video: Gesichtserkennung in Deutschland – MONITOR.

Die Big Player setzen auf Gesichtserkennung

Viele Techkonzerne haben mittlerweile eigene, leistungsstarke Lösungen zur Gesichtserkennung entwickelt und im Angebot. Amazon hat Amazon Rekognition. Microsoft hat die Azure Cognitive Services. Auch Facebook hat eine eigene Lösung, die seit vielen Jahren im eigenen sozialen Netzwerk eingesetzt wird. Dass bei der Entwicklung und Erprobung solcher Lösungen oftmals Grenzen überschritten wurden und werden zeigt eine aktuelle Strafe gegen Facebook (Juni 2020): 650 Millionen US-Dollar muss Facebook an Strafe zahlen, da das Unternehmen unerlaubt biometrische Daten von Nutzern gespeichert und verarbeitet hat. Auch Amazon, Google und Microsoft sehen sich mittlerweile mit Klagen konfrontiert. Ansatzpunkt aller Klagen ist hierbei der Biometric Information Privacy Act (BIPA) des US-Bundesstaates Illinois. Der BIPA ist eine im Gesamtkontext der USA außergewöhnlich strenge gesetzliche Richtlinie (die allerdings eben nur für Illinois gilt) und idealer Anknüpfungspunkt für Klagen gegen die Großkonzerne. 

Angesichts dieser Klagenflut und schnell wachsender Skepsis durch die zunehmend kritische öffentliche Diskussion ist es kaum verwunderlich, dass amerikanische Techkonzerne seit Anfang 2020 eine Rolle rückwärts machen und die Versorgung von US-Behörden mit Gesichtserkennungssoftware überdenken bzw. beenden (z. B. Microsoft oder Amazon). IBM stieg im Frühjahr 2020 sogar ganz aus dem Geschäft mit der Gesichtserkennung aus. Grundtenor in den Pressemitteilungen der Techkonzerne: der US-Kongress soll sich zeitnah mit der Technologie auseinandersetzen und einen regulierenden Rechtsrahmen für Gesichtserkennungstechnologie formulieren

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Video: Facial Recognition – Last Week Tonight with John Oliver (HBO).

Gesichtserkennung aushebeln

Es ist klar: die Erkennung von Gesichtern ist als ausgesprochen kritisch einzuschätzen. Dies zeigen die vielen überraschenden und ethisch-fragwürdigen Anwendungen, über die berichtet wird. Das Grundproblem dabei: Ähnlich wie ein Fingerabdruck stellt ein Gesicht ein nahezu eindeutiges Identifizierungsmerkmal eines Menschen dar – nur dass eben ein Gesicht deutlich einfacher zu erfassen ist (z. B. von Kameras im öffentlichen Raum) als es Fingerabdruck (für dessen Erfassung ein Finger bewusst und gewollt auf einen Fingerabdruck-Scanner gelegt werden muss). Wenig verwunderlich daher auch, dass an Möglichkeiten geforscht und gearbeitet wird, Gesichtserkennungssoftware zu überlisten.  

Forscher der Universität Chicago entwickeln z. B. den Anti-Gesichtserkennungsalgorithmus „Fawkes“. Dieser Algorithmus nimmt bei digitalen Gesichtsfotos minimale Veränderungen an der Pixelstruktur vor. Systeme zur Gesichtserkennung sollen das Gesicht anschließend nicht mehr identifizieren können, während Menschen der geringfügige Eingriff in die Bildstruktur nur bei genauem Hinsehen oder sogar nicht auffällt. Der Name des Algorithmus ist angelehnt an den britischen Widerstandskämpfer Guy Fawkes, dessen legendäre Maske heute Markenzeichen des Internetkollektivs “Anonymous” ist. Die Idee hinter dem Algorithmus ist einfach: Nutzer von Online-Plattformen (z. B. sozialen Netzwerken) sollen unter Zuhilfenahme des Algorithmus Fotos veröffentlichen können, ohne befürchten zu müssen, dass sie anhand des Fotos als Person eindeutig identifizierbar sind. Wie realistisch solche Befürchtungen tatsächlich schon heute sind zeigen Gesichtssuchmaschinen.

Gesichtssuchmaschinen

Für Aufregung sorgt z. B. die polnische Gesichtssuchmaschine pimeye, eine kostenlose Suchmaschine für mehr als 900 Millionen Gesichter. Recherchen von netzpolitik.org zeigen eindrücklich die Missbrauchspotenziale solcher Lösungen.

Beängstigende Einblicke in das Business „Gesichtserkennung“ lieferte Anfang 2020 auch die New York Times mit Recherchen zum amerikanischen Startup Clearview AI. Auch Clearview AI betreibt eine Gesichtssuchmaschine – verkauft diese allerdings an Polizeibehörden in den USA. Dabei setzt das Startup nicht auf selbst entwickelte, besonders innovative Verfahren, sondern kombiniert einfach existierende Verfahren zu einer Gesamtlösung – und dies auf eine beeindruckende Weise. Behörden, die die Clearview AI Lösung in den USA nutzen, müssen der Software nur ein einziges Bild einer gesuchten Person zur Verfügung stellen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild frontal aufgenommen wurde oder ob die Person schwieriger zu erkennen ist, z. B. aufgrund einer Sonnenbrille oder Mütze. Das bereitgestellte Bild (bzw. dessen mathematisches Abbild) wird dann gegen eine umfangreiche Bilddatenbank abgeglichen, in der Clearview AI angeblich über drei Milliarden Fotos gespeichert hat. Fotos, die die Firma ohne Erlaubnis von Facebook, Instagram, YouTube „und Millionen anderen Websites“ abgegriffen hat. Auch Behörden aus Belgien, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Italien und weiteren EU-Ländern zählen mittlerweile zu den Testern oder Kunden der US-Firma.  

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Video: Alexandria Ocasio-Cortez Exposes Dangers of Facial Recognition | NowThis.

Fazit

Die Digitalisierung unserer Gesichter ist keine Utopie mehr, sondern längst technisch umsetzbar und auch umgesetzt. Während manche Anwendungsmöglichkeiten durchaus spannend sind, existiert bislang kein verbindlicher rechtlicher Rahmen, der den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware im Detail regelt. Bevor ein solcher Rahmen nicht verfügbar ist, wird in Deutschland und anderen westlichen Ländern (auch den USA) sicher weiterhin grundlegende Skepsis und Misstrauen vorherrschen – während gleichzeitig in Asien und insbesondere China wieder längst harte Fakten geschaffen werden. Auch auf regulatorischer Ebene nimmt China erheblichen Einfluss und versucht z. B. Standards, die bei den Vereinten Nationen entwickelt werden, zu beeinflussen. Eine genaue Beobachtung weiterer Entwicklungen ist sicher notwendig.

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